17.07.2025 | Lisa Bose | WSL News
Der Verlust von häufig vorkommenden Arten kann Nahrungsnetze instabil machen, mit weitreichenden Folgen für ganze Ökosysteme und ihre Leistungen. Das zeigt eine neue Studie der Eidg. Forschungsanstalt WSL und der ETH Zürich, die in der Nature Fachzeitschrift Communications Biology veröffentlicht wurde. Insbesondere wenn Feuchtgebietsarten betroffen sind, hat dies weitreichende Konsequenzen.
- Häufig vorkommende Arten sind entscheidend für die Stabilität von Nahrungsnetzen. Ihr Verschwinden löst besonders viele Folgeverluste aus.
- Arten aus Feuchtgebieten machen nur rund 30 Prozent aller erfassten Arten aus. Sie sind jedoch für fast 70 Prozent aller Verbindungen in Nahrungsnetzen der Schweiz verantwortlich. Ihr Verlust führt deutlich schneller zum Zusammenbruch der Netze, als wenn andere Arten aussterben.
- Der Schutz der Biodiversität muss umfassender gedacht werden – über Art- und Lebensraumgrenzen hinweg.

Fressen und gefressen werden – alle Lebewesen in einem Ökosystem stehen in Beziehungen zueinander und sind voneinander abhängig. Darstellen lässt sich das in einem Nahrungsnetz. Doch was passiert, wenn in einem solchen Netz eine Art ausfällt, weil sie ausstirbt?
Ein internationales Team von Forschenden unter Leitung der WSL und der ETH Zürich hat erstmals die Auswirkungen verschiedener Aussterbeszenarien auf regionale Nahrungsnetze in der Schweiz modelliert. Dazu erstellten die Forschenden ein «Metaweb» - ein komplexes Netzwerk mit über 280'000 Fressbeziehungen zwischen rund 7800 Arten von Pflanzen, Wirbeltieren und Wirbellosen. Auf Basis dieser Daten simulierten die Forschenden dann den Verlust von Arten aus verschiedenen Lebensraumtypen.
Das Ergebnis: Gehen häufig vorkommende Arten in Schlüssellebensräumen wie Feuchtgebieten oder landwirtschaftlichen Flächen verloren, brechen regionale Nahrungsnetze ziemlich schnell zusammen. Das bedeutet unter anderem, dass Ökosystemleistungen wie die Bestäubung nicht mehr sichergestellt sind.
Die häufigen Arten im Auge behalten ¶
Besonders gross war der Einfluss, wenn Feuchtgebietsarten fehlten. «Obwohl Feuchtgebietsflächen in der Schweiz relativ klein sind und diese Arten nicht zahlreich sind, führte ihr Aussterben zu signifikanten Veränderungen im Nahrungsnetz», sagt Merin Reji Chacko, WSL-Forscherin und Erstautorin der Studie. Erklären lässt sich dies unter anderem damit, dass gerade Arten aus Feuchtgebieten öfter in mehreren Habitaten unterwegs sind und so an verschiedenen Orten zum Funktionieren der Ökosysteme beitragen – etwa Libellen, die als Larven im Wasser leben und als erwachsene Tiere an Land.
Aus anderen Studien ist bekannt, dass selbst kleine alpine Feuchtgebiete sehr artenreiche Pflanzengemeinschaften beherbergen können. Da Pflanzen die Basis der Nahrungskette bilden, führt dies zu einer Zunahme der Artenvielfalt in den Gemeinschaften, die von diesen Pflanzen abhängig sind.
Ein weiteres wichtiges Ergebnis: Nicht die seltenen, sondern die häufigen Arten haben den grössten Einfluss auf die Stabilität der regionalen Nahrungsnetze. Werden häufig vorkommende Arten gezielt entfernt, stürzen sie auch andere Arten, die von ihnen abhängen, ins Verderben – ähnlich einem Dominoeffekt. Sie fungieren gewissermassen als «Dreh- und Angelpunkt» in einem Netzwerk, da sie sehr viele Verbindungen zu anderen Lebewesen haben und oft in unterschiedlichen Lebensräumen vorkommen.
Über Systemgrenzen hinausschauen ¶
Für den praktischen Naturschutz bedeutet dies: Schutzmassnahmen sollten sich nicht nur auf seltene Arten konzentrieren, sondern verstärkt auch auf (noch) häufige Arten, die Schlüsselrollen in den Ökosystemen einnehmen. Das heisst aber nicht, dass die selteneren Arten im Naturschutz vernachlässigt werden können. «Häufige Arten sind allgegenwärtig, daher sind sie regional sehr wichtig. Aber nur einige wenige Arten sind häufig, die meisten sind selten. Auf lokaler Ebene bilden die vielen seltenen Arten Sicherheitsnetz, das zum Einsatz kommt, wenn eine der häufigeren Arten ausfallen sollte», erklärt Reji Chacko.
Ebenso entscheidend ist der Erhalt eines Mosaiks von vielfältigen Lebensraumtypen, die nebeneinander vorkommen. Viele Arten nutzen mehrere Habitate und transportieren zwischen ihnen Energie und Nährstoffe.
«Unsere Ergebnisse zeigen, dass der Verlust von Arten in einem Lebensraum weitreichende Auswirkungen auf Lebewesen in benachbarten Lebensräumen desselben Systems haben kann – auch über grosse Distanzen hinweg, da diese Arten über das Nahrungsnetz verschiedene Lebensräume miteinander verbinden können», erklärt Reji Chacko. «Deshalb müssen Schutzstrategien künftig stärker über Art- und Habitatsgrenzen hinweg gedacht werden, um die Biodiversität längerfristig zu erhalten.»

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